Mein Einkaufen mit Gott
Heute Morgen beschließe ich, einkaufen zu fahren. Es ist ein Donnerstag. Wenn ich es Woche für Woche zu derselben Zeit tue, treffe ich öfters dieselben Menschen. Bei einem Menschen habe ich den Eindruck, dass er sich freut, dass ich heute zum Einkaufen komme. Es ist ein junger Mann, der bei den Einkaufswagen auf den Knien steht und bettelt. Er spricht nur ein paar Worte Deutsch, zu wenig, um mir seine Geschichte zu erzählen. Manchmal gebe ich ihm etwas Geld. Ehrlich gesagt, es fällt mir mal leichter, mal schwerer. Kennt ihr auch das innere Grübeln, wem und wann und ob man etwas geben sollte? Manchmal kaufe ich ihm etwas zu essen, damit er das Geld nicht für „falsche“ Sachen ausgibt… Heute ergreift mich wieder mal das Gefühl einer Traurigkeit über seine Ausweglosigkeit, ein Mitgefühl, das mich in die Jackentasche greifen lässt.
Fjodor Michailowitsch Dostojewski, dem russischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, sagte man nach, dass er nie mit leeren Taschen sein Haus verließ. Er sammelte Münzen in seinen Jackentaschen, damit er genügend Geld für die Bettler hatte, denen er auf den Straßen begegnete. Eine tolle Idee und für mich ein beeindruckendes Vorbild.
Jesus gibt uns in seiner Bergpredigt, die wir in der Bibel im Lukasevangelium lesen, viele Beispiele dafür, wie wir im Alltag der Not der Menschen begegnen können.
Lukas, Kapitel 6: 30 Wenn jemand dich um etwas bittet, dann gib es ihm; und wenn jemand dir etwas wegnimmt, dann fordere es nicht zurück. 31 Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt sein wollt. (..) 35 Tut Gutes und leiht, ohne etwas zurückzuerwarten! Dann bekommt ihr reichen Lohn: Ihr werdet zu Kindern des Höchsten. (..)36 Werdet barmherzig, so wie euer Vater barmherzig ist!
Barmherzig, ein Wort, das eher in der Liturgie als im Alltag anzutreffen ist. Einen Menschen beschreiben wir lieber als warmherzig und Gott als barmherzig. Was ist der feine Unterschied? Im Lexikon werde ich fündig: Warmherzig zu sein bedeutet, ein hohes Maß an Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und Wohlwollen zu besitzen. Barmherzigkeit bezeichnet eine existenzielle Betroffenheit im Innersten und ein Tun, das mehr ist, als bloßes Gefühl des Mitleidens. Aus Mitleid, Betroffenheit etwas tun. Am besten gefällt mir die Definition „sich die Not eines anderen zu eigen machen.“
Plötzlich stelle ich fest, dass dieser Vers 36 die Jahreslosung im Jahr 2021 gewesen ist. Werdet barmherzig, so wie euer Vater barmherzig ist! Als ob Gott unsere Herzen darauf vorbereiten wollte, was im Jahr 2022 kommt. Im Februar 2022 ist der Krieg in der Ukraine ausgebrochen. Viele haben sich die Not der Ukraine und der ukrainischen Flüchtlinge zu eigen gemacht. Gegeben, geteilt, gespendet, gebetet, Fremde beherbergt, gelebte Barmherzigkeit. Ein Jahr lang dauert dieser Krieg an. Viele Menschen sind müde geworden, auf den Frieden zu warten. Viele Helfer sind müde geworden zu helfen. Darin zeigt sich auch der Unterschied zwischen der menschlichen Barmherzigkeit und Gottes Barmherzigkeit.
Wie barmherzig ist unser himmlischer Vater? „Die Barmherzigkeit des Herrn hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu.“ (Klagelieder 3, 22-23) Jesus fordert uns auf, wie unser Vater barmherzig zu sein. Jeden Tag neu.
Während ich meine Einkäufe einräume, höre ich das Lied „Der Herr ist mein Hirte, nichts fehlt mir. Nichts fehlt mir bei Dir.“ Da heißt es im Refrain: „Ohne Angst, ohne Sorgen und ohne Gedanken an morgen gebe ich Dir mein Ja, heute neu mein Ja.“ Ich fühle mich ermutigt. Ja, heute Morgen entscheide ich mich neu zu hoffen und zu beten, statt über die Preiserhöhung zu murren und mich um eigene Zukunft zu sorgen. Ich entscheide mich neu zu geben, statt zu „bunkern“.
Das Leben ist unbarmherzig. Deshalb lasst uns barmherzig sein. Jeden Tag neu.
Tatjana